„Die Wahrnehmung scheint die Basis unseres Denkens und Handelns zu sein. Bleibt das, was wir im Feld der Erscheinungen wahrnehmen, aber im Bild einer Vor-Stellung hängen, haben wir die Verbindung zu unserem Sein verloren.“

Günther Titz findet Formen, wobei Form für den Künstler in erster Linie Proportionalität bedeutet. Er distanziert sich dabei vom Prozess einer Komposition, von der Malerei als Schöpfung. Statt von einer Komposition wird jedes Bild von seinem eigenen Findungsprozess bestimmt.

Von Pappkarton, Zahlencode...
Dr. Dirk Teuber, 2018
Beobachtungen zu einigen Werken
von Günther Titz


Aseptische Distanz
Heike Marx, 2015
Die Rheinpfalz - Kultur Regional
2. März 2015


OUT OF THE DARK
Katharina Arimont, M.A., 2015
Einführungsrede
Kunsthaus Frankenthal (Pfalz)


Spiele der Doppeldeutigkeit
Prof. Dr. Johannes Meinhardt, 2015
Katalogtext
Günther Titz - Malerei und Fotografie
Spiele der Doppeldeutigkeit - Gemälde und Fotografien von Günther Titz
in Katalog: Günther Titz - Malerei und Fotografie, 2015
von Johannes Meinhardt, Tübingen


So sehr die Gemälde und Fotografien von Günther Titz offensichtlich nichts miteinander zu tun haben, so sehr sind die verwirrenden Doppeldeutigkeiten oder sogar Tautologien, die sie methodisch erzeugen, und damit die Problemhorizonte und Verfahrensweisen beider miteinander eng verwandt. Als Zentrum des Problemhorizonts ließe sich die radikale Differenz herausarbeiten (unter einem bestimmten Blickwinkel sogar ein absoluter Gegensatz), welche das Verständnis von Kunstwerk und die Einstellung zum Kunstwerk in der idealistischen Moderne, der Epoche der autonomen abstrakten Malerei - bis in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts - und in der Postmoderne, der Epoche nach dem Zusammenbruch dieses Idealismus, der Epoche eines `materialistischen´, kontextabhängigen Verständnisses von Kunst determiniert hat.
In der Epoche der nichtgegenständlichen Malerei wurde das Gemälde als autonomes System der Bildfläche verstanden, als Komposition aus rein pikturalen Elementen - Linie, Fläche, Farbe. Dieses System bedient sich einer pikturalen Sprache, die das Gemälde zu einer Art von Text macht, der für den Betrachter, bei den entsprechenden Voraussetzungen, lesbar und verstehbar werden lässt. Grundlage der pikturalen Sprache ist es, dass jeder Einsatz in der Fläche, jeder Strich, jeder Fleck, den der Maler, der Autor hervorbringt, das Ergebnis einer komplexen, mehrschichtigen Wahl ist; auf der Bildfläche ist nichts zu sehen, was nicht schon bewusst gewählt und in diesem Sinne sprachartig bewusst ist, in eine bewusste Beziehung zu allen anderen Elementen der Bildfläche getreten ist. Diese visuellen Beziehungen der Elemente in der Fläche zueinander bilden die ästhetische Ebene der Wahrnehmung.
Im Gegensatz dazu umfasst eine analoge Fotografie keine Komposition; sie enthält keine pikturale Sprache, sie kennt, radikal gesprochen, keinen Autor, sondern sie ist, als analoges Medium, eine naturwissenschaftlich begründete objektiv-kausale Einschreibung von Licht in eine fotosensible bzw. lichtrezeptive Schicht. Ein Foto besteht aus Kontingenzen, aus zufälligen, nicht zählbaren, bedeutungslosen Details, die ohne Dazwischenkunft eines Autors und ohne ausgewählte Elemente einer Sprache Existenz annehmen. Das Foto ist ein Index der Vergangenheit, der Kausalität, die Einschreibung des Lichts hat unbezweifelbar stattgefunden. Nur von außen, durch die vorhergehende Wahl von Standpunkt, Blende, Film, Winkel etc. und durch die nach dem Fotografieren kommende Zuschreibung zu Diskursen und damit Deutung wird das Foto bedeutungsvoll; so nimmt es den Charakter eines Index der Gegenwart an, eines deiktischen Index, den Charakter eines intentionalen Hinweises.
Obwohl jedoch Gemälde und Foto im Gegensatz zueinander stehen, das Gemälde als sinnerfüllte kompositionelle und damit ästhetische Totalität, das Foto als kontingenter Effekt physikalischer und chemischer Prozesse, die an keiner Sprache und an keiner ästhetischen Konstellation teilhaben, erzeugt Günther Titz in seinen Gemälden und Fotografien Doppeldeutigkeiten, die strukturell beide einander sehr nahe bringen. Denn in seinen Gemälden provoziert er gleichzeitig eine kompositorisch-ästhetische Wahrnehmungsweise oder Einstellung und eine materielle Wahrnehmung der Schichtung haptisch-optischer Flächen und Oberflächen. Und in seinen Fotos lässt er die fotografische Bildfläche mit der materiellen Fläche des Fotos und der Oberfläche des fotografierten Sujets, einer transparenten Glasfläche, zusammenfallen, so dass das analoge Medium wunderbar funktioniert, der Betrachter der selbst schon gespaltenen räumlichen und zeitlichen Präsenz eines abgebildeten Gegenstandes gegenüber zu stehen scheint; aber gleichzeitig treten die Realität des fotografischen Prozesses, die Materialität des Trägers und der fotografischen Fläche, und des realen Raums des Betrachters in die bewusste Wahrnehmung ein.

In seinen Gemälden arbeitet Günther Titz mit einer ganzen Reihe von Tautologien, mit Umdeutungen derselben Fläche durch Einstellungswechsel. Das beginnt damit, dass er schon von in ihrem Format festgelegten und in ihrer Oberfläche gestalteten, nämlich bedruckten Flächen ausgeht: von einer der langen Seiten eines gebrauchten Kartons. Auf diese Seite projiziert er dann, quasi fotografisch, die Textbänder, die sich auf den anderen Seiten des Kartons befinden; der Karton als Hohlraum implodiert gewissermaßen. Die ausgewählte Kartonfläche bedeckt er dann mit vielen Schichten eines dünnen Weiß; die fast immer waagerechten Zahlenreihen aber überdeckt er mit farbigen Bändern, die sich waagerecht über die ganze Fläche ziehen; diese Bänder markieren also verdeckte Zahlenreihen. Die künstlerischen Entscheidungen fallen außerhalb des entstehenden scheinbar abstrakten Bildes: Wahl des Kartons, Wahl der weißen Schichtungen, Wahl der Regeln, der Farbe und der Breite der deckenden Linien; das Gemälde selbst entsteht quasi automatisch, den Regeln gehorchend. Der Auftrag hängt weitgehend vom Träger ab, und die Bildfläche wird durch den Träger nicht nur determiniert, sondern schon weitgehend tautologisch geliefert.
In einem zweiten Schritt schleift Günther Titz Partien der Bildfläche wieder ab: das reale, verdeckende Übereinander der materiellen Schichten der Bildfläche wird auf diese Weise als kontingentes, fleckiges Nebeneinander weißer oder brauner Flächen sichtbar, die teilweise wieder Buchstaben und Zahlen sichtbar werden lassen; das Übereinander der Schichten wird, quasi archäologisch, freigelegt, sichtbar und bewusst gemacht. Die Hand, in der Moderne das Medium der künstlerischen Schöpferkraft, wird hier zum Werkzeug einer fast mechanischen Zerstörung der Fläche, des Abschleifens. Diese Arbeit gibt nicht den Maler als Autor zu sehen, sondern sie verschiebt die Aufmerksamkeit auf die Realität des geschichteten Materials. Aber dennoch, unabweisbarerweise, wird die so bearbeitete Fläche auch als Bildfläche gesehen, als Einheit einer abstrakten Komposition, als Spiel künstlerischer Entscheidungen.

In seinen Fotografien spielt Günther Titz mit den unterschiedlichen optischen Effekten von Glasflächen, die in der Wahrnehmung mit der Bildfläche des Fotos und der materiellen Oberfläche des Trägers zusammenfallen. Die starke Einheit der Bildfläche verdankt sich dem Sujet; zugleich aber wird dieses Sujet selbst optisch zerrissen: im abgebildeten Bildraum treten verschiedene Tiefenebenen auseinander. Erstens scheint die abgebildete Glasfläche, verstärkt durch architektonische Elemente der Häuserfront, eine mit der Bildfläche identische Front zu bilden; der Betrachter sieht zweitens durch die - teilweise verdeckte - Glasfläche hindurch einen Innenraum, der sich hinter der Glasfläche befindet; drittens sieht der Betrachter auch einen gespiegelten Raum vor der Glasfläche: den Raum des Fotografen (stünde die Glasfläche tatsächlich völlig rechteckig zur perspektivischen Achse des Fotos, müsste der Fotograf sichtbar sein); viertens sieht der Betrachter aber auch, konkurrierend mit dem gespiegelten Raum des Fotografen, seinen eigenen Raum, der sich in der spiegelnden Bildfläche abzeichnet. Das Zusammenfallen von abgebildeter spiegelnder Glasfläche und spiegelnder Bildfläche des Fotos führt zu einer (von der Beleuchtung stark abhängenden) Konkurrenz von abgebildetem gespiegeltem Raum des Fotografen und von situativem, `realem´, gespiegeltem Raum des Betrachters. Optisch-fotografische Realität der Abbildung, optisch-täuschende Realität der Spiegelungseffekte und optisch-materielle Realität des Betrachters und des Raums des Betrachters treten auseinander und nötigen den Betrachter zur Reflexion auf diese drei Arten von Realität.

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